Aufsätze

„Blicke auf Schumann – der ‚Verehrte Schwager’ aus der Sicht Woldemar Bargiels“

in: Die Tonkunst, Heft 3, 2010

»Sie werden mir zugestehen, dass man nicht erst Schumanns Schwager zu sein braucht, um in ihm den großen Künstler und ausgezeichneten Menschen zu ehren. Es ist mir von jeher unbegreiflich gewesen, daß, wer was in der Musik leisten will, Schumanns Grundansichten sein muß, und sich den Namen Schumannianer wohl gefallen lassen kann. Sch.[umann] war nach Beethoven der erste, der innere Seelenzustände in der Musik in ihrer großen Mannigfaltigkeit auszudrücken suchte, und sie zum Kern nahm, die Form nach ihnen bildend […] Es ist wohl klar, welcher Richtung zu folgen ist, und in welcher jede Eigenthümlichkeit sich am freiesten bilden kann.«

Dies Zeugnis musikalischer und menschlicher Verehrung Robert Schumanns stammt aus der Feder des ambitionierten Komponisten, Dirigenten und Pädagogen Woldemar Bargiel (*1828 in Berlin; † 1897 in Berlin), der als Halbbruder Clara Wiecks in einem engen verwandtschaftlichen Verhältnis zu Schumann stand. Bargiel weckt ein zweifaches Interesse, im Kontext der Schumann-Forschung und als eigenständige Musikerpersönlichkeit des 19. Jahrhunderts […]

 

“Music evolutionism and the idea of development in music history as related to Charles Darwin’s theory of the ‚sexual evolution of man’“

Kongress “Darwin Among the Disciplines”, Georg-August-Universität Göttingen, 2009, Druck i.V.

Cultural evolutionism has been a controversial element in the fields of anthropology and sociology since the times of Charles Darwin. In “The Descent of Man”, he alluded to connections between biology and the humanities. Despite his believe in „sevear struggle” and “competition for all men”, he acknowledged that the ethical qualities of man were advanced much more by education than by natural selection. Thus, he assumed that music functions as a courtship display in sexual selection to attract sexual partners.

In the critical discourse of evolutionary theories, as far as they concern music, some major points will give a reason for further discussion: such as the etymology of the Italian word concerto that could be understood as an inter- and intrasexual weapon, or the major trends in occidental music which are often described as progressive, steady and unilinear upward movements. Furthermore, in music analysis, a variety of terms appear as biological metaphors, such as the organism model for the sonata form, as well as in organology, branching trees have been used to show multiple levels of organization.

According to the social theory of neo-evolutionism, this paper is a plea for a turn from a general to a more specific theory of evolution in music history, from a universal top-down classification towards new standards for bottom-up phenomenology.

 

„’Marsch der Bleisoldaten’ – instruktive Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts im Dienst von Kriegserziehung?“

In: Militärmusik im Diskurs, Bd. 6, Bonn 2011

Nach den gewonnenen Kriegen 1864, 1866 und 1870/71 stand im Deutschen Reich das Militär an der Spitze der Prestigeskala. Unabhängig vom politisierten schulischen Kinderlied, das im erstarrenden Bildungssystem zu einem Medium machtpolitischer Interessen geriet, entwickelten sich außerschulische Bildungsmöglichkeiten im Konzertwesen, in Haus- und Salonmusik, an den neu gegründeten Konservatorien und im privaten Musikunterricht. Dabei stand das Klavier als Statussymbol im Mittelpunkt bürgerlicher Musikpraxis. Diese Studie geht der Frage nach, auf welche Weise sich militärischer Einfluss in unzähligen Kleinformen zumeist pädagogisch-instruktiver Musik niederschlägt. Die Titel der etwa 100 ausgewählten, zumeist in Deutschland gedruckten Musikstücke, können, gemessen an ihren Auflagenzahlen, durch Verbreitung, Beliebtheit und Zugänglichkeit für den durchschnittlichen Geschmack als annähernd repräsentativ bezeichnet werden und weisen sämtlich einen eindeutigen oder auch verbrämten Hinweis auf Kindersoldaten auf.

In großer Zahl wurden im 19. Jahrhundert Sammlungen von Kinderstücken verfasst, die entweder Kinder als Adressaten ansprechen oder die Kindheit thematisieren. Sie entspringen den unterschiedlichen Sphären von Salon-, Kunst-, oder Militärmusik mit großen Überschneidungsbereichen, häufig fließen Bearbeitungen populärer Liedvorlagen ein. Ihre Komponisten gingen recht verschiedenen musikalischen Tätigkeiten nach, sie waren Kirchenmusiker, Klavierlehrer, Instrumentalisten, Virtuosen, Musiklehrer an Schulen, Militärmusiker oder auch Musikalienhändler. Innerhalb dieser Sammlungen erscheinen unvermittelt Stücke mit militärischem Kontext, wie etwa das „Soldatenspiel“ in „Vergnügte Stunden. Neue Klavierstücke f. jugendliche Spieler“ von Gustav Bertram, ebenso in den „Kinderspielen“ von C.T. Brunner. „Soldatenspiel“ nennt sich auch die Vertonung des sogenannten „Schwertlieds“ nach einem Text von Theodor Körner von Friedrich Görner in der Sammlung „Aus dem Kinderleben“. Dieses Lied wurde weiterhin von Franz Schubert und Carl Maria von Weber vertont, letztere Fassung erschien in Soldatenliederbüchern des ersten und zweiten Weltkriegs. Äußerst aufschlussreich sind gleichfalls die 44 instrumentalen Bearbeitungen des beliebten Kinderlieds „Der kleine Rekrut“ („Büblein, wirst du ein Rekrut, Merk’ dir dieses Liedchen gut. Wer will unter die Soldaten, Der muss haben ein Gewehr“, Text: Friedrich Güll, Musik: Friedrich Kücken, 1855).

Die Kinderalben allseits anerkannter Komponisten sind gegenüber populären musikalischen Erzeugnissen in der Minderzahl, in Beiträgen zur nationalen Gebrauchsmusik standen ästhetische Bedenken häufig hinten an. Dennoch setzte Robert Schumann neue Maßstäbe in der Geschichte des Kinderstücks, zahlreiche Komponisten folgten seinem Beispiel. Diskussionswürdig sind in diesem Zusammenhang der „Soldatenmarsch“ aus dem „Album für die Jugend“ oder „Ritter vom Steckenpferd“ aus den „Kinderszenen.“

Auch militärisches Kinderspielzeug mit Musikbezug spielt in der Schenkkultur des 19. Jahrhunderts eine große Rolle. So darf in keiner musikalischen Weihnachtsgabe ein Zinn- oder Bleisoldatenmarsch fehlen. Turnübungen, Leibesertüchtigungen und Wehrerziehung spielen auch in der Früherziehung eine Rolle, nicht nur in Deutschland. Kurz vor der Jahrhundertwende erschienen in London „Musical Drill for infants“ und in Wien „Marschierlieder und Kreisspiele für den Kindergarten.“ Die Idee eines „musikalischen Kindergartens“ als instruktive Klaviermusik wurde am erfolgreichsten von Carl Reinecke umgesetzt.

Viele instruktive Klavierstücke, wie etwa „Kind als Soldat“ von Karl Graedener versuchen früh, bei vor allem männlichen Kindern die Identifikation mit dem Krieg und dem Militär zu wecken. Letztlich geht es um die Frage, in welchem Verhältnis das Postulat einer allseitig harmonischen Menschenbildung einhergehend mit einer romantischen Idealisierung des Kindes einerseits zu einer ansonsten zunehmend militarisierten Gesellschaft steht. Wie verbinden sich pädagogische Vorstellungen von einem verniedlichten naiven Kind, das in Glück und Harmonie aufwächst, mit dem Wunsch, es zu einemgehorsamen kleinen Soldaten abzurichten? Als Beispiel sei das außerordentlich beliebte Kinderlied „Der kleine Rekrut“ („Büblein, wirst du ein Rekrut, Merk’ dir dieses Liedchen gut. Wer will unter die Soldaten, Der muss haben ein Gewehr“) von Friedrich Güll, einem der  wichtigsten Kinderlyrikern des Biedermeier, vorgestellt. Seit 1855 fand das Lied nach einer Melodie von Friedrich Kücken nicht weniger als 44 instrumentale Bearbeitungen. Vor dem ersten Weltkrieg wurde das Lied in Preußen vor dem für den Unterricht in der fünften und sechsten Klasse empfohlen, aber offensichtlich auch in jüngeren Klassen eingesetzt. Es taucht bereits vor der Jahrhundertwende in Soldatenliederbüchern wie „Jung-Deutschland in Waffen“ von Heinrich Blättermann auf und diente im Kaiserreich der Kriegserziehung.

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